von IG Architektur
GEGEN DIE HEMMUNGSLOSE DURCHKOMMERZIALISERUNG UNSERER GEBAUTEN UMWELT
Die geplante Novelle zum österreichischen Ziviltechniker:innengesetz (ZTG) ist leider mehr als ein notwendiger Schritt zur Umsetzung eines EuGH-Urteils. Sie ist vor allem eine vergebene Chance auf dem Weg in eine klimafitte Zukunft.
Mit der geplanten Novelle zum österreichischen Ziviltechniker:innengesetz (ZTG) wird das Urteil C2019/18 des EuGH zur Liberalisierung der Beteiligungsbeschränkungen an Ziviltechnikergesellschaften in Österreich nicht nur umgesetzt, sondern übererfüllt. Statt sich auf den Wert unabhängiger technischer und baukultureller Expert:innen zu besinnen und die Rolle, die diese bei der Wahrung öffentlicher Interessen spielen, zu stärken, gibt der Gesetzgeber internationalen Lobbygruppen nach, die weder Wertschöpfung noch Arbeitsplätze in Österreich schaffen werden. Baukonzerne freuen sich schon auf das bevorstehende „Ende der Trennung von Planen und Bauen“[1], die bislang für Ziviltechniker:innen gesetzlich verpflichtend war. Dabei sollte es zumindest jenen, die für den sorgsamen Einsatz von Steuergeldern verantwortlich sind, einleuchten, dass jede transparente Gebarung mit dem Vermeiden von Interessenskonflikten einhergeht.
So wie dieses Vermeiden von Interessenskonflikten beim sorgsamen Umgang mit finanziellen Mitteln unumgänglich ist, ist es das auch beim sorgsamen Umgang mit der Umwelt. Wir werden in den kommenden Jahren – wenn irgendeine Ernsthaftigkeit beim Erreichen der Klimaziele gegeben ist – sehr gewissenhaft prüfen müssen, mit welchem Ressourcenverbrauch und mit welchen Auswirkungen auf die Umwelt Bauten umgesetzt werden. Große Industrien, seien es Baufirmen oder Hersteller von Baustoffen, sind nun einmal in erster Linie der Gewinnausschüttung an ihre Eigentümer:in verpflichtet, dagegen wäre auch nichts zu sagen. Dieses Streben nach (einseitiger) Gewinnmaximierung wird sich aber zwingend durch den gesamten Gestaltungsprozess ziehen, wenn Konzerne für das Entwerfen, Planen und Errichten, und auch noch für das Prüfen alleinverantwortlich sind. Nur unabhängige Planer:innen können die komplexe Gemengelage der Interessen zukünftiger Nutzer:innen, Anrainer:innen und der Umwelt, als auch die berechtigten wirtschaftlichen Interessen von Investor:innen oder die persönlichen Vorstellungen von Auftraggeber:innen auflösen. Dabei sprechen wir noch nicht von der kulturellen Verantwortung, die das Bauen mit sich bringt und die niemals nur ein pragmatisches Abarbeiten eines Anforderungskatalogs sein kann.
Ohnehin ist es bereits heute möglich, dass eine Baufirma auch plant. Sie darf das lediglich nicht als Ziviltechniker:in tun. Dadurch haben Sie als Bauherr oder Baufrau die Wahl: Sie können sich auch an eine/n unabhängige/n Planer:in wenden. Viele – und aus gutem Grund viele öffentliche – Auftraggeber:inen nützen diese Möglichkeit. In Zukunft, wenn die geplante Novelle zum Ziviltechniker:innengesetz in Kraft tritt, werden diese Grenzen verschwimmen.
Immerhin ist es gelungen, dass die Bezeichnung „Ziviltechniker:in“ nicht im Namen interdisziplinärer Gesellschaften vorkommt, und immerhin werden auch in diesen Gesellschaften Ziviltechniker:innen 50 Prozent Anteil und Stimmrecht halten müssen. Bedauerlich bleibt aber, dass das Ausstellen von Urkunden, also zum Beispiel die Bestätigung über die korrekte Ausführung von Bauwerken, auch durch interdisziplinäre Gesellschaften möglich sein soll. Damit wird das Vertrauen in solche Urkunden beschädigt, und somit auch die Idee der Unabhängigkeit.
Das Entwerfen von Architektur ist ein kreativer, höchstverantwortlicher Prozess. Das Prüfen von Gebäuden und Anlagen ist eine objektive, höchstverantwortliche Aufgabe. Wollen Sie in einem Gebäude leben, in dem nicht Ihre Sicherheit, sondern Gewinnmaximierung im Vordergrund stehen? Glauben Sie, dass mit den Mitteln und den Wirtschaftsstrukturen internationaler Großkonzerne eine nachhaltige, klimataugliche Umwelt geschaffen werden kann?
Wir fordern den Gesetzgeber auf, die ZTG Novelle so zu überarbeiten, dass eine Kultur gemeinwohlorientierten und verantwortungsvollen Planens gefördert und nicht behindert wird. Die geplante Änderung hat nicht nur auf Ziviltechniker:innen Auswirkung, sondern beeinflusst die Entwicklung der Baukultur insgesamt. Eine nachhaltig-ökologische Baukultur muss aber ein Zukunftsziel der Gesellschaft sein.
Ein Kommentar der IG Architektur, 29.4.2021
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